Kein Ort so still wie in mir
Kein Ort so still wie in mir. Dabei sollte ich klagen. Nicht lachen oder verneinen. Ich hatte mir doch ein anderes Leben gewünscht. Nein, ich wollte nicht Superman sein, oder Mutter Theresa, oder wie meine Nachbarin, die einen fetten Porsche fährt – aber heute kam die Wende. Draußen im Garten, meine üblichen Gäste, eine reine Freude, sie immer wieder begrüßen zu dürfen. Viel besser, als meine Kollegen begrüßen zu müssen. Aber ich wollte von der Wende erzählen. Heute dachte ich, und ich weiß nicht, warum: Wäre mein Leben nicht schöner, wenn ich ein Büro hätte. Ein kleines Zimmer mit einem Fenster, das mir einen Ausschnitt präsentiert, sobald ich den Kopf hebe. Ich sehe Wolken ziehen, das wechselnde Wetter, und denke darüber nach, wie klein ich gemessen an den Wolken bin. In meinem Büro habe ich viel zu tun. Aber das stört mich. Ich sitze hinter dem Tisch, habe einen Laptop darauf stehen. Ein leeres Word-Dokument ist geöffnet und ich warte. Im Winter, wenn es geschneit hat, bilden sich unter meinen Schuhen dunkle Pfützen, die ich erst bemerke, wenn ich wieder nach Hause gehe. Was ich damit sagen will, ich bin so vertieft, dass mich nicht mal diese schwarzen Dinger aus der Fassung bringen. Gegen 09:00 Uhr tritt der erste Kunde in mein kleines Büro. Schüchtern setzen sich die meisten auf die äußerste Kante des braunen, abgeschabten Bürostuhls. Ich wollte für die Einrichtung nicht so viel Geld ausgeben, müssen Sie wissen. Nach Überwindung der ersten Schüchternheit fließen die Wörter wie eine geplatzte Regenrinne auf mein Word-Dokument. Ich schreibe mit und höre zu, aber ich achte immer darauf, dass ich ihnen recht gebe. Das ist der wichtigste Aspekt meiner Arbeit. Ich gebe recht. Ich bin keine Richterin oder so. Ich kenne mich mit Paragrafen nicht mal gut aus. Wenn ich ehrlich bin, ich kenne nicht mal einen. Meine Kunden bekommen auch nichts rückerstattet. Das kann ich nicht. Ich kann ihnen aber recht geben. Und ich sehe an ihren Gesichtern, wie entspannt und glücklich sie sind, wenn sie wieder gehen. Meine Vertragsbedingungen müssen alle lesen und unterschreiben. Ohne darf sich niemand auf den schäbigen Stuhl setzen. Anfangs, da dachte ich noch, niemand würde kommen. Oder es würde hässliche Posts über mich geben. Aber all das ist nicht passiert. Da waren ganz andere unterirdische Strömungen am Werk. Das ist quasi eine Win-win-Situation. Ich schreibe jeden Tag, was ich immer schon wollte, und die Leute bekommen recht. Es ist so schön, dass wir nicht mehr kämpfen müssen, wir haben sowieso recht. Die Leute lassen die Waffen fallen, und nachdem sie die Klage über z. B. ihren Nachbarn eingereicht haben, gehen sie erleichtert ihrer Wege. Sie erwarten nur von mir, dass ich ihnen recht gebe. Es geht nicht um all den Quatsch. „Du hast recht.“ Hat für mich mehr Sprengkraft als ein Atomkraftwerk, ein Diktator oder ein Popstar. Gestern hat sogar Hollywood bei mir angerufen. Ob sie meine Geschichte haben könnten. Ich habe aber gesagt: Nein. Da haben sie gesagt: Sie haben recht. Und so wird es wahr. Meine Geschichte kommt bis nach Hollywood. Und dann in die Welt.